Mit Urteil vom 4. März 2021 (Az. B 11 AL 5/20 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) eine Entscheidung getroffen, deren Auswirkungen für LeistungsbezieherInnen erheblich sein dürften.
Worum geht es?
Gegenstand dieser Entscheidung sind rechtskräftigte (Aufhebungs- und) Erstattungsbescheide, wie sie von der Bundesagentur für Arbeit (BA), den Jobcentern etc. in unzähligen Fällen erlassen worden sind. Bisher lagen diese Bescheide oftmals Jahre bei den Leistungsträgern und wurden dann über die Inkassostelle der BA in Recklinghausen beziehungsweise die Vollstreckungsbeamten der Kreise, Städte und Gemeinden vollstreckt.
Das Bundessozialgericht hat nunmehr entschieden, daß diese Forderungen aus Erstattungsbescheidennach § 50 Abs. IV S. 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist, verjährt.
Ein Erstattungsbescheid vom 16. September 2017 wäre damit am 31. Dezember 2021 verjährt.
Von Seiten der Leistungsträger kann die Verjährung insbesondere dadurch verhindert werden, daß die Verwaltung gemäß §§ 203 ff. BGB Verhandlungen mit dem Schuldner führt (§ 203 S. 1 BGB), die Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet wird (§ 204 Abs. I Nr. 10 BGB).
Die Forderung kann auch im Wegen von Abschlagszahlungen, Zinszahlungen etc. anerkannt werden (§ 212 Abs. I Nr. 1 BGB) oder es können gerichtliche / behördliche Vollstreckungshandlungen vorgenommen werden (§212 Abs. I Nr. 2 BGB). In diesen Fällen beginnt die Verjährung erneut.
Weiterhin kann die Verwaltung einen – gesonderten – Verwaltungsakt nach § 52 Abs. I SGB X erlassen, der dann innerhalb von 30 Jahren verjährt § 52 Abs. II SGB X). Dies dürfte insbesondere im Recht des SGB II, III und XII („Hartz IV“) nicht der Fall sein.
Welche Bedeutung hat diese Entscheidung?
Die Bedeutung ist nicht zu unterschätzen.
Die Zahl von Erstattungsbescheiden, die alleine im Bereich des Arbeitslosengeld II seit 2015 erlassen worden sind, dürfte siebenstellig sein.
Potentiell betroffen sind alle rechtskräftigen Verwaltungsakte, die – wegen der einmontigen Widerspruchsfrist – vor dem 30. November 2017 erlassen wurden.
Was tun bei Rückforderungen?
Wenn der Leistungsträger trotz Hinweis auf die Verjährung die Forderung weiter geltend macht, dann ist für Streitigkeiten das Sozialgericht zuständig.
Statthafte Klageart in diesen Fällen ist im Hauptsacheverfahren die Feststellungsklage.
Nach § 55 Abs. I Nr. 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Diese Feststellung kann auch einzelne Berechtigungen aus der gegenseitigen Leistungsbeziehung wie die Frage, ob dem Leistungsträger das Recht zusteht, die Erfüllung der Erstattungsforderungen zu verlangen und bei Weigerung zu erzwingen.
Die Abwehr der Forderungen kann gegebenenfalls auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen.
Welche Risiken bestehen?
Es dürfte wahrscheinlich sein, daß die Leistungsträger vermehrt im Wege der Zwangsvollstreckung aus vorhandenen Erstattungsbescheiden vorgehen werden, um den Neubeginn der Verjährung (§ 212 BGB) zu bewirken.
Dazu dürfte entweder der Weg beschritten werden, den Schuldner „Vereinbarungen“ zum Anerkenntnis der Forderungen vorzulegen oder Ratenzahlungen zur Bestätigung der Forderungen zu nutzen.
Zudem werden die Leistungsträger sicherlich in größerem Maße Vollstreckungshandlungen ergreifen.
Was können Sie tun?
Sprechen Sie uns an!
Wir können prüfen, ob die Leistungsträger tatsächlich aus Erstattungsbescheiden gegen Sie vorgehen können.